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Rasha Khayat: Weil wir längst woanders sind

Das sagt der Verlag:

Wie soll man ankommen, wenn man längst woanders ist?

Layla und Basil waren immer eine untrennbare Einheit, Geschwister, die zusammengehören, zwischen die nichts kommt. Bis Layla eine Entscheidung trifft, die alles verändert und die niemand versteht: Sie beschließt zu heiraten. Einen Mann in der alten Heimat, Saudi-Arabien. Keine Entscheidung aus Liebe, sondern aus Prinzip.
›Weil wir längst woanders sind‹ erzählt die Geschichte von Basils Reise nach Jeddah zur Hochzeit seiner Schwester. Er möchte ein letztes Mal die alte Nähe spüren. Zugleich führt ihn sein Besuch mitten hinein in die eigene Vergangenheit: in den liebevoll-skurrilen Kosmos der saudischen Verwandtschaft, die in seinem »deutschen Leben« nie anwesend war und doch immer da in der Erinnerung. Was treibt Layla – eine nicht religiöse, freiheitsliebende junge Frau – dazu, sich für ein Land zu entscheiden, in dem Frauen alles andere als frei sind? Wie soll man umgehen mit einem Gefühl von Fremdheit, das unauflösbar scheint? Rasha Khayat stellt schmerzhafte Fragen. Und sie findet Antworten, die ebenso irritieren wie im Innersten berühren.

 

Das sagt die Gute Seite:

Was wissen Sie über Saudi-Arabien? Wichtiger Player in puncto Syrien-Krieg. Sunniten-Schiiten, wie war das nochmal? Öl, Geld, Reichtum, soziale Kluft – aber konkret? Autorin Rasha Khayat, die selbst in Saudi-Arabien aufwuchs und im Grundschulalter mit ihrer Familie nach Deutschland zog, beginnt einfach zu erzählen. Bis sie fertig ist. Sie liefert einen Einblick, einen Fetzen Wahrheit, die immer subjektiv bleiben muss. Nach der schnellen, glatten, schönen, thematisch überraschenden Lektüre dieses Debüts der Hamburgerin bleiben Fragen, die das Gelesene im Kopf bewegen – was soll und kann Literatur mehr?

Erstens: Warum kann Mutter Barbara die Entscheidung ihrer Tochter Layla nicht wenigstens nachvollziehen?

Sie selbst heiratete als Krankenschwester – damals gar jünger als ihre Tochter jetzt – einen saudischen Arzt und zog mit ihm nach “Arabien”, ein Land, das ihre eigene Mutter im Atlas erstmalig suchen musste, weil sie bis dahin angenommen hatte, es handele sich um ein reines Märchenland.

Zweitens: Wie hoch ist der Preis, den Layla zahlt?

Sie muss ihren Bruder nicht überzeugen, weil sie ihre Entscheidung getroffen hat und die enge Geschwisterbindung längst aufgelöst hat zugunsten ihrer alt-neuen Familie. Aber sie legt ihm dar, dass der wichtigste Punkt für sie ist, dass ihr Zukünftiger “halb-und-halb ist, wie wir”. Denn Bald-Ehemann Rami hat ein britisches und ein saudisches Elternteil, kennt also die Frage von Zerrissenheit und Zugehörigkeit. Layla lässt durchscheinen, dass Rami nicht die große Liebe ist, aber ein verlässlicher Partner, der ihr Sicherheit verspricht. Und das ist ihr wichtiger als alles Andere. Kann das im Leben einer jungen, selbstbewussten, klugen Frau mit Kinderwunsch reichen? Abstrakt und konkret setzt sich ein Gefühl von Sicherheit aus verschiedenen Aspekten zusammen.

Kann es private ohne öffentliche Sicherheit geben?

Wie positioniert sich Layla zu den gesellschaftlichen Gegebenheit um sie herum? Wie selbstverständlich streut die Autorin Einblicke in die Verfasstheit der saudischen Gesellschaft ein. Als Kind entdeckt Layla beim Spielen das überraschend kleine, karge Zimmer ihrer Kinderfrau. Pakistanische und philippinische Angestellte sind in ihrer Abhängigkeit und damit abgeschlagenen sozialen Lage allgegenwärtig. Die Religionspolizei ist präsent. Wo verläuft die Grenze zwischen öffentlicher Kontrolle und privatem Freiraum?

Drittens: Was wird aus Basil?

Der Bruder trauert der innigen Verbundenheit mit seiner Schwester nach. Erst will er ihr als Antwort auf die Hochzeitseinladung all das entgegenschleudern, was die Mutter vielleicht nicht ausspricht. Und damit auch seine eigenen Zweifel, sein Unverständnis, seine Angst. Aber er ist noch nicht fertig mit sich, kann noch kein Urteil fällen. Er muss selbst hinfahren, um zu wissen, wie es für ihn weitergehen wird.

Zusammengefasst:

Mit diesen Fragen wirkt das Buch nach, weil es nicht nicht sattsam alles geklärt und abgeschlossen hat. Und das ist spannend. Es bietet somit der Leserin* die Entscheidung einer jungen Frau, die keinen Platz für sich in Deutschland gefunden hat und diesen daher in Saudi-Arabien sucht, wo sie ihre Kindheit verbracht hat. Es bietet die Sicht des interessiert-skeptischen Bruders, der sich von der innigen Verbundenheit mit seiner Kindheitsschwester verabschiedet und sie dadurch vielleicht für die Zukunft gewinnt, aber auch selbst angehalten ist, bewusst seinen eigenen Weg zu gehen.

Khayats Buch offeriert das ablehnende Kopfschütteln der Mutter, die der Entscheidung der Tochter weder Chance noch Erklärungsraum gibt und sich damit der Frage verstellt, welche Entscheidung sie selbst nach dem Tod ihres Mannes bewusst getroffen hat und wofür es sich in einer Kleinstand in NRW im Großen und Kleinen zu leben und vielleicht auch zu kämpfen lohnt. Beiden Kindern konnte sie offenbar keine zukunftsweisende Antwort vorleben.

Es geht um Wünsche in diesem Buch, ums Dazugehören, um Zufriedenheit – und um Wegmarken und Entscheidungen, die es zu treffen gilt, die Jugendliche und junge Erwachsene dorthin führen können. Layla ist die zufriedenste Person im Plot, denn sie hat ihren Platz im Gegensatz zum Bruder bereits gefunden. Dass die Mutter die Wahl nicht billigt, fällt nicht mehr ins Gewicht – Weil wir längst woanders sind.

 

Wo sind Sie, wo wollen Sie hin, welche Entscheidungen stehen an?

Zunächst vielleicht – dieses Buch lesen. 🙂

(fhart)

Rasha Khayat: Weil wir längst woanders sind

Erschienen: März 2016 bei DuMont, 192 Seiten

Gebunden €19,99
ebook €15,99