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Lot Vekemans: Brautkleid aus Warschau

Das sagt der Verlag:

Marlena, Mitte zwanzig, wohnt in Polen auf dem platten Land und ist zum Kummer ihrer Mutter noch immer nicht verheiratet. Dann verliebt sie sich plötzlich bis über beide Ohren in einen Amerikaner, der als Journalist über die Zeit nach dem Kommunismus berichtet. Marlena hat das Glück, zu lieben und geliebt zu werden, aber sie weiß es nicht, oder wenigstens: Sie kann es nicht glauben. Und so ähnlich geht es ihrem Geliebten auch, der schließlich nach Amerika zurückkehrt. Dass sie ein Kind erwartet, wird er nie erfahren.
Ein melancholischer Schleier scheint über Marlenas Leben zu liegen; stets bricht etwas entzwei, ohne dass es eigentlich eine Schuld gibt oder gar einen Schuldigen. Alle sind schuldlos Schuldige: Liebende, die tragisch verkettet sind in Verhältnisse, die sie nicht durchschauen.
Drei Männern begegnet Marlena, die jeder auf seine Weise ihrem Leben eine entscheidende Richtungsänderung geben. Ihr Weg führt sie aus dem Dorf nach Warschau, über eine Heiratsvermittlung in die Niederlande zu einem Bauern, Jahre später zurück nach Polen.
Lot Vekemans erzählt aus drei Perspektiven über das Verlangen, seinem Leben eine Richtung zu geben, und über die unvorhersehbaren Folgen, die es hat, wenn man es wirklich wagt. Ihre Charaktere, Marlena, drei Männer und ein Junge, gehen einem nicht mehr aus dem Kopf.

Das sagt die Gute Seite:

Das Buch blieb mir tatsächlich eine Weile im Kopf, weil das Setting sich abseits meiner üblichen Leseschauplätze abspielte: Eine junge Polin landet über eine Heiratsvermittlung in den Niederlanden bei einem verwitweten Bauern. Der Text selbst besticht in der Form durch die unterschiedlichen Erzählperspektiven, die das Buch seitengerecht dreiteilen: Zunächst lesen wir aus ihrer Sicht Die Geschichte von Marlena, auf die die von Andries folgt und durch die Szymons beschlossen wird.

Polen war mir wieder unter die Haut gekrochen. Ich konnte mich nicht länger vor dem ungeheuren Heimweh verstecken, das ich jahrelang hatte begraben wollen. Jetzt, da ich zurück in Polen war, fühlte ich mich, als hätte ich mich mein ganzes Leben in Holland in Tarnfarben gehüllt. Wie eine Beute hatte ich regungslos auf dem Feld gekauert, damit mich niemand sah und mir nichts passieren konnte. In Polen brauchte ich mich nicht mehr zu verstecken. Hier war ich geboren, hier war meine Mutter geboren und die Mutter meiner Mutter. Hier durfte ich sein.” (82f.)

Literarisches Dreieck

Während Marlena emotional zurückkehren kann, ist für ihren Sohn Stanislaw ganz eindeutig das Holland seiner Kindheit und damit bei Andries sein Zuhause. Letzterer hat seinen Hof bis dato kaum verlassen, bis er nun seinem Sohn nach Polen folgt um ihn zurückzuholen. Der dritte Protagonist Szymon wurde in den Niederlanden geboren. Seine jüdische Mutter floh dorthin aus Polen vor dem Krieg. Beide überlebten und blieben; Szymon studierte in Utrecht und wurde Anwalt. Später ging er zurück nach Warschau. Damit setzt Autorin Vekemans aus drei Erwachsenen, einem Kind und weiteren Nebenfiguren ein klug geschriebenes Mosaik aus biografisch-geografischen Richtungen und Motiven zusammen.

Darum Gastland

Ein Brautkleid aus Warschau ist eine sehr gute Lektürewahl, die illustriert, wozu es auf der Frankfurter Buchmesse ein literarisches Gastland gibt: Ohne diese Institution hätte das Buch vermutlich nicht so viel Aufmerksamkeit erfahren, weil es vielleicht gar nicht erst übersetzt worden wäre. Denn das Original Een bruidsjurk uit Warschau erschien bereits 2012. Für den Wallstein Verlag besorgten Eva Pieper und Antje Schmiedebach die nun vorliegende Übersetzung aus dem Niederländischen, die bereits zuvor die Theatertexte von Autorin Lot Vekemans übertrugen. Das Deutsche Theater in Berlin spielt derzeit ihr Stück Gift. Eine aktuelle Einlassung von Vekemans zum Thema Religion als scheinbarer Mittelpunkt gegenwärtiger gesellschaftlicher Konflikte findet sich in ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Ludwig Mühlheimer Theaterpreis aus dem April 2016.

Heimat?

Eine befreundete Buchhändlerin hatte mir das Buch ans Herz gelegt, da es das momentan so aktuelle Thema Heimat verhandele und damit einen punktgenauen Debattenbeitrag leiste. Ob nun Heimat, Zuhause, Landschaftsverbundenheit, Raumbezug oder Selbstverortung – ein klasse Buch über enttäuschte wie geborgene Hoffnungen, gegangene wie vermiedene Wege, gefundene und verordnete Identitäten, wahre Wünsche & viele Lieben.

Unbedingt lesenswert!

 (fhart)

Lot Vekemans: Brautkleid aus Warschau

Erschienen: Februar 2016 im Wallstein Verlag, 253 Seiten
Aus dem Niederländischen von Eva M. Pieper und Alexandra Schmiedebach
Gebunden €19,90
epub eBook €15,99
pdf eBook €15,99